Eingefrorene russische Gelder – Zerreißprobe für die EU?

Die Europäische Union steht vor einem der heikelsten politischen und finanziellen Konflikte seit Beginn des Ukraine-Krieges. Im Zentrum steht eine gewaltige Summe: rund 200 bis 210 Milliarden Euro an eingefrorenen Vermögenswerten der russischen Zentralbank, die sich überwiegend bei der Brüsseler Finanzinstitution Euroclear befinden. Was bislang als Sanktionsmaßnahme galt, droht nun zu einer Bewährungsprobe für den inneren Zusammenhalt der EU zu werden.

Vom Einfrieren zur Nutzung – ein folgenreicher Schritt

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 froren die EU und ihre Partner große Teile der russischen Währungsreserven ein. Dieses Vorgehen war politisch breit abgestützt und völkerrechtlich vergleichsweise unumstritten: Die Gelder blieben Eigentum Russlands, durften jedoch nicht bewegt oder genutzt werden.

Dieser Zustand wurde bereits verlängert und rechtlich abgesichert.
Die EU-Mitgliedstaaten haben beschlossen, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte weiterhin und ohne automatische Fristverlängerungen blockiert zu halten. Damit ist klar: Eine Freigabe der Gelder steht derzeit nicht zur Debatte.

Nicht beschlossen ist jedoch der nächste, weit sensiblere Schritt – die aktive Nutzung dieser Gelder.

Der Streitpunkt: Zugriff oder nur Erträge?

Die Europäische Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen treibt Pläne voran, die eingefrorenen Vermögen indirekt zur Finanzierung der Ukraine heranzuziehen. Diskutiert wird vor allem, die Zinserträge oder die Vermögenswerte selbst als Sicherheiten für milliardenschwere Kredite zu verwenden.

Befürworter argumentieren, Europa könne so die Ukraine unterstützen, ohne neue Schulden zulasten der eigenen Steuerzahler aufzunehmen. Kritiker warnen hingegen vor einem gefährlichen Präzedenzfall, der das internationale Finanzsystem und das Vertrauen in europäische Finanzplätze erschüttern könnte.

Spaltung innerhalb der EU

Die Debatte verläuft entlang klarer Bruchlinien:

  • Unterstützer sehen in der Nutzung der Gelder eine moralisch gerechtfertigte Antwort auf den russischen Angriffskrieg.

  • Skeptiker, darunter Belgien, Italien, Malta und Bulgarien, verweisen auf massive rechtliche und finanzielle Risiken. Belgien steht dabei besonders unter Druck, da Euroclear als Verwahrstelle im Zentrum möglicher russischer Klagen steht.

  • Länder wie Ungarn und die Slowakei mahnen zudem zur Zurückhaltung und warnen vor einer weiteren Eskalation der Beziehungen zu Moskau.

Die notwendige Einstimmigkeit macht eine Einigung besonders schwierig.

Was bereits beschlossen ist – und was noch offen bleibt

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Fakten und politischen Absichtserklärungen:

Bereits beschlossen:
Die eingefrorenen russischen Zentralbankvermögen bleiben weiterhin blockiert. Das Einfrieren wurde rechtlich stabilisiert, um eine automatische Freigabe zu verhindern.

Noch nicht beschlossen:
Ein Zugriff auf das Kapital selbst oder dessen Nutzung als Sicherheit für Kredite an die Ukraine.

Nächster Entscheidungspunkt:
Die Frage der konkreten Nutzung soll bei einem der kommenden EU-Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs entschieden werden. Angesichts des steigenden Finanzbedarfs der Ukraine rechnen Beobachter damit, dass diese Entscheidung in naher Zukunft auf die Tagesordnung kommt.

Rechtliche Risiken und internationale Folgen

Juristen warnen davor, staatliche Vermögenswerte ohne eindeutige völkerrechtliche Grundlage umzuwidmen. Russland bezeichnet entsprechende Pläne offen als Enteignung und hat bereits rechtliche Schritte angekündigt. Klagen gegen Euroclear könnten im schlimmsten Fall nicht nur einzelne Staaten, sondern die EU insgesamt finanziell belasten.

Gleichzeitig steht Europas Ruf als sicherer Finanzplatz auf dem Spiel: Internationale Investoren beobachten genau, wie die EU mit staatlichem Eigentum eines Drittlandes umgeht.

Mehr als eine Finanzfrage

Die Auseinandersetzung um die eingefrorenen russischen Gelder ist längst mehr als ein technisches Detail der Sanktionspolitik. Sie berührt zentrale Fragen:

  • Wie belastbar ist die Rechtsstaatlichkeit der EU in Krisenzeiten?

  • Wie weit reicht die Solidarität mit der Ukraine?

  • Und wie viel politische Einheit kann Europa sich noch leisten?

Während das Einfrieren der Gelder bislang ein Symbol geschlossener europäischer Entschlossenheit war, könnte ihre Nutzung genau das Gegenteil bewirken – eine Zerreißprobe, deren Ausgang offen ist.

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